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Nach der Pandemie: Gehört der Föderalismus auf den Prüfstand?

Während der zurückliegenden Monate sind bei Politik und Bevölkerung die Zweifel gewachsen, ob die aktuelle föderale Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nicht dringend einer Anpassung bedarf. Wir erinnern uns alle daran, wie es den Sitzungen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten regelmäßig zu Aussagen kam, die zuvor anders abgestimmt und vereinbart worden waren.

Solcherlei Kakofonie hat Vetrauen in Seriösität und Kompetenz der Politik gekostet und die Befürchtung wachsen lassen, die Politik sei mit der Bewältigung der Corona-Pandemie nachhaltig überfordert. Der DBB hat aus diesem Anlass eine Umfrage in Auftrag gegeben, um die Einschätzung der Bürgerinnen und Bürger in Erfahrung zu bringen.

Die Ergebnisse der Umfrage liegen nunmehr vor und sie sind sehr aufschlussreich. Im Einzelnen hat der DBB über die Ergebnisse bereits berichtet. Die Ergebnisse der Umfrage lassen sich so zuzsammenfassen: Die Bevölkerung bejaht unsere föderalen Strukturen, erwartet allerdings, dass elementare Politikbereiche zentral geregelt werden.

Einen speziellen Aspekt der Umfrage wollen wir nochmals aufgreifen. Er betrifft den Strafvollzug und ist nicht nur deshalb erstaunlich. Mit 81 Prozent der Befragten sieht eine beindruckend große Mehrheit den Strafvollzug als eine wesentliche Aufgabe des Bundes an. Die Bürgerinnen und Bürger haben offenbar ein sicheres Gespür dafür, was bundeseinheitlich organisiert sein sollte.

Die Zersplitterung des Vollzugsrechts hatte negative Folgen

Es war die Föderalismusreform des Jahres 2006, mit der die Gesetzgebungskompetenz für den Vollzug vom Bund auf die Bundesländer verlagert wurde. Seinerzeit war der Vollzug etwas unverhofft zur Verhandlungsmasse geworden und konnte sich der politischen Festlegung nicht mehr erfolgreich widersetzen. Die Koalitionsregierung von CDU/CSU und SPD hatte sich darauf verständigt, den Ländern mehr Handlungsmöglichkeiten einzuräumen und deshalb ein ganzes Paket an Kompetenzveränderungen geschnürt.

Zwar sprachen sich Rechtsexperten, Vollzugspraktiker und die Gewerkschaften verhement gegen diese Art der Reform aus, doch ließ sich die Politik nicht mehr umstimmen. Seitens der Bundesregierung verlautete seinerzeit, dass alle Maßnahmen zur Disposition gestellt werden könnten, wenn das Gesetzespaket für den Strafvollzug noch einmal geöffnet werde. Dies war eine wenig überzeugende Einlassung, signalisierte aber doch deutlich das Ende der Diskussionsbereitschaft.

Diese Missachtung der Bedürfnisse des Strafvollzuges löste einen zusätzlichen Personalbedarf in den Bundesländern aus und veränderte das Vollzugsgeschehen in den bundesdeutschen Gefängnissen nachhaltig. Jede neue Landesregierung sieht jetzt im Vollzugsrecht ein Experimentierfeld, um ihre spezifischen Vorstellungen umzusetzen. Dies hat der Vollzugsgestaltung allgemein nicht gutgetan.

Als Lehre aus der Pandemiebekämpfung fordern Politiker Überprüfung der föderalen Strukturen

Der Umgang der Bundes- und der Länderregierungen mit der Pandemie hat jetzt den Boden dafür bereitet, dass die Politik darüber nachdenkt, die föderalen Strukturen des Staates nochmals auf den Prüfstand zu stellen, um sie den Erfordernissen komplexer Entscheidungsprozesse anzupassen. In der Pandemiebewältigung ist sichtbar geworden, dass die notwendigen Entscheidungsabläufe unter Beteiligung der Parlamente einer Neuregelung bedürfen.

Kaum hatten sich in den letzten Monaten Kanzleramt und Ministerpräsidenten auf Maßnahmen geeinigt, wurden diese in der Öffentlichkeit zerredet und abweichende Positionen vermittelt. Diese Dissonanzen haben die Bevölkerung an der Problemlösungskompetenz der politisch Handelnden zweifeln lassen. Bei den Bürgerinnen und Bürgern sind Vertrauen und Zuversicht verlorengegangen.

Die Föderalismusdebatte ermöglicht es, die Forderung nach Bundeseinheitlichkeit beim Vollzugsrecht neu zu stellen

Die Erkenntnis vieler Politiker, dass die föderalen Strukturen des Staates der Anpassung an die aktuellen Erfordernisse bedürfen, hat eine Verfassungsdebatte ausgelöst. Diese Debatte eröffnet uns jetzt die konkrete Chance, auch ein einheitliches Strafvollzugsrecht in die Debatte einzuführen.

In den kommenden Wochen und Monaten wird der BSBD die politischen Landschaften intensiv beackern müssen, um das Thema auf die politische Agenda zu heben und für die notwendigen Mehrheiten zu kämpfen. Strafrecht und Strafprozessrecht sind bundeseinheitlich geregelt und da dürfte es jedem Verständigen einleuchten, dass die Ausgestaltung des Vollzuges ebenfalls einer bundeseinheitlichen Gesetzesgrundlage bedarf.

Dieses Ziel mittelfristig zu erreichen ist sicher den „Schweiß der Edlen“ wert. Wir dürfen dabei aber nicht übersehen, dass uns noch erhebliche Abwehrschlachten bevorstehen. Die exorbitanten Kosten der Pandemie und die Ausgaben für den gewaltigen Investitionsstau werfen die Frage auf, wer letztlich für diese Kosten aufkommen soll. Allen Politikern sei ins Stammbuch geschrieben: Wer jetzt auf die Idee kommt, beim Personal, an der Ausstattung oder an der Aus- und Weiterbildung zu sparen, der riskiert die Leistungs- und Zukunftsfähigkeit unseres Staates.

Friedhelm Sanker

Foto: Antonioguillem/stock.adobe.com